Saturday, September 15, 2012

Sunday, June 17, 2012

(Über die zwei Arten von Lachen)


Wer den Teufel als den Vertreter Des Bösen und den Engel als Kämpfer für Das Gute betrachtet, übernimmt die Dämagogie der Engel. Die Sache ist selbstverständlich komplizierter.
Die Engel sind nicht die Vertreter Des Guten, sondern der göttlichen Schöpfung. Der Teufel hingegen spricht der göttlichen Welt jeden vernünftigen Sinn ab.


Bekanntlich teilen sich die Teufel und die Engel Macht über die Welt. Das Gute auf der Welt verlangt jedoch nicht, dass die Engel die Übermacht über die Teufel hätten, sondern eine ungefähre Ausgewogenheit. Wenn es auf der Welt allzuviel unanfechtbaren Sinn gibt (Herrschaft der Engel), bricht der Mensch unter dessen Last zusammen. Verliert die Welt jedweden Sinn (Herrschaft der Teufel), lässt es sich gleichfalls nicht leben.


Dinge, die plötzlich ihren herkömmlichen Sinn einbüssen, den Platz, der ihnen in der vermeintlichen Ordnung der Dinge zusteht (ein in Moskau geschulter Marxist, der an Horoskope glaubt), reizen uns zum Lachen. Ursprünglich kommt das Lachen also von den Teufeln. Darin liegt ein Stück Boshaftigkeit (die Dinge erscheinen anders, als sie vorgeben zu sein), aber auch ein Stück wohltuender Erleichterung (die Dinge sind leichter, als sie scheinen, man kann freier mit ihnen leben, sie bedrücken uns nicht mit ihrem strengen Ernst).


Als der Engele zum ersten Mal das Lachen des Teufels hörte, erstarrte er. Es geschah während irgendeines Festmahls, es waren viele Leute versammelt, und sie stimmten einer nach dem andern in das Lachen des Teufels ein, denn es war ansteckend. Der Engel begriff gut, dass dieses Lachen gegen Gott und die Würde seines Werkes gerichtet war. Ihm wurde klar, dass er rasch reagieren musste, doch er fühlte sich wehrlos und schwach. Da er nicht in der Lage war, selber etwas zu erfinden, ahmte er seinen Widersacher nach. Er öffnete den Mund und gab einen unterbrochenen, abgerissenen Klang in der höheren Tonlage seines Stimmregisters von sich und verlieh ihm den gegenteiligen Sinn: während das Lachen des Teufels auf die Sinnlosigkeit der Dinge verwies, wollte der Schrei des Engels sich darüber freuen, dass alles auf der Welt vernünftig geregelt, richtig ausgedacht, schön, gut und sinnvoll sei.


Und so standen sie einander gegenüber, Teufel und Engel, öffneten den Mund und gaben annährend den gleichen Ton von sich, aber jeder drückte durch seine Klangfarbe das Gegenteil des andern aus. Und der Teufel schaute auf den lachenden Engel und lachte immer lauter, besser und aufrichtiger, da der lachende Engel unheimlich lächerlich war.


Ein Lachen, das zum Lachen ist, ist ein Debakel. Trotzdem haben die Engel eines geschafft: Dank eines semantischen Betrugs haben sie uns alle hinters Licht geführt. Ihre Imitation des Lachens und das ursprüngliche Lachen (das Lachen des Teufels) werden mit demselben Wort bezeichnet. Die Menschen sind sich heute nicht mehr bewusst, dass die gleiche äusserliche Erscheinung zwei völlig verschiedene innere Haltungen in sich birgt. Es gibt zwei Arten von Lachen, und uns fehlt das Wort, um die beiden Phänomene voneinander zu unterscheiden.


(aus "Das Buch vom Lachen und Vergessen" von Milan Kundera)

Sister Skype to New Zealand - You are so far away...


Sunday, May 13, 2012

Was ist Litost?


"Litost ist ein tschechisches Wort, das sich nicht übersetzen lässt. Die erste Silbe, die gedehnt und betont ausgesprochen wird, klingt wie die Klage eines einsamen Hundes. In anderen Sprachen finde ich kein Äquivalent, obwohl ich mir nur schwer vorstellen kann, dass die menschliche Seele ohne dieses Wort zu verstehen ist.

Ein Beispiel: Der Student badete zusammen mit einer befreundeten Studentin in einem Fluss. Das Mädchen war sportlich, und er ein miserabler Schwimmer. Er konnte unter Wasser nicht ausatmen, schwamm langsam und hielt den Kopf krampfhaft über dem Wasserspiegel. Das Mädchen war hoffnungslos in ihn verliebt und so taktvoll, ebenso langsam zu schwimmen wie er. Als die Zeit zum Aufbruch gekommen war, wollte sie noch schnell ihren sportlichen Bedürfnissen Genüge tun und schwamm mit raschen Zügen ans andere Ufer. Der Student versuchte, schneller zu schwimmen und schluckte Wasser. Er fühlte sich erniedrigt und in seiner körperlichen Ungeschicktheit blossgestellt, er empfand Litost (...). Als die beiden auf einem Feldweg in die Stadt zurückgingen, schwiegen sie. Verletzt und gedemütigt, verspürte er den unwiderstehlichen Wunsch, sie zu schlagen. Was hast du? fragte sie, und er machte ihr Vorwürfe, auf der anderen Seite des Flusses gebe es Wirbel, er habe ihr doch verboten hinüberzuschwimmen, sie hätte ja ertrinken können - und er schlug sie ins Gesicht. Das Mädchen fing an zu weinen, und beim Anblick ihrer Tränen empfand er Mitleid mit ihr, er umarmte sie, und seine Litost zerfloss (...)

Was also ist Litost?
Litost ist ein qualvoller Zustand, der durch den Anblick unserer unvermuteten entdeckten Erbärmlichkeit ausgelöst wird.

Eines der bewährten Heilmittel gegen die eigene Erbärmlichkeit ist die Liebe. Denn wer wirklich geliebt wird, kann nicht erbärmlich sein. All seine Mängel werden durch den verzauberten Blick der Liebe aufgewogen, unter dem sogar das Schwimmen mit krampfhaft über dem Wasserspiegel gehaltenem Kopf charmant sein kann".

Aus "Das Buch vom Lachen und Vergessen" von Milan Kundera

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